Eric-Emmanuel Schmitt:
Adolf H. - Zwei Leben. Fischer Taschenbuch, 509 Seiten.
Heftchenliteratur
In einem seiner weniger hellsichtigen Essays hat Thomas
Mann sich mit "Bruder Hitler" befasst und kann darin "unmöglich umhin, der
Erscheinung eine gewisse angewiderte Bewunderung entgegenzubringen". Dass
dies 1938/39 geschah, als der Schrecken noch nicht ausgewachsen war, ist ihm
zugute zu halten. Aber was können wir einem zugute halten, der 1960 geboren
ist und jetzt so tut, als wäre ein junger Mann aus Braunau in die ganze
Sache nur hineingeschlittert, weil ignorante Dozenten ihn durch die
Aufnahmeprüfung der Wiener Kunstakademie rasseln ließen?
Nur so viel: Eric-Emmanuel Schmitt hat einen Unterhaltungsroman geschrieben,
sonst nichts. Es ist ein Roman mit schönen, aber auch verkorksten Stellen,
ein Roman der über dem Schreiben so lang geworden ist, dass er die reizende
Ursprungsidee zu Tod reitet. Diese lautet: Was wäre gewesen, hätte Hitler
seinen Platz in der Akademie bekommen? Die Franzosen haben für diese Art der
Literatur ein Kunstwort eingeführt: Uchronie, in Anlehnung an Utopie. Das
kann sehr amüsant sein, "Inglourious Basterds" spielt im Kino schön mit
diesem Effekt.
Der reale Lebenslauf Hitlers und der fiktive werden alternierend erzählt.
Schmitts uchronischer Künstler "Adolf H." nimmt die Dienste von Sigmund
Freud in Anspruch, um mit dem Sex besser zurecht zu kommen. Er verdient als
Maler viel Geld in Paris, verkehrt mit den Größen der Branche (André Breton!),
heiratet - eines der gnadenlosesten Klischees des Buches - eine jüdische
Parfümerie-Kreative, die auch Zwillinge zur Welt bringt, Ein und Alles des
kinderlieben Papas.
Eine missglückte Satire: Das ist alles recht platt und durchschaubar
konstruiert, so dass der Lesegenuss sich klein hält. Tucholskys Satz, dass
Satire alles darf, muss eben doch ergänzt werden: Sie darf sich nur nicht
erwischen lassen.
Schmitt erwischen wir dabei, wie er ein monströses, weil
menschenverachtendes Hirn süßlich verklärt. Übrigens: auch das mit "Seit 5
Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen!" war gar nicht so schlimm, den Krieg
gegen Polen hätten wir auch ganz ohne Hitler gemacht, "Adolf H." kann es von
Paris aus beobachten. Richtig daran ist, dass der Aufstieg zum "Führer" nur
möglich war, weil viele andere es wollten. Schmitt erwischen wir dabei, wie
er diesen Kontext im Übrigen fast vollständig ausblendet und deshalb mit
seiner Entdämonisierung - sie ist sein erklärtes Ziel - schnell am Ende ist.
Schmitt erwischen wir schließlich dabei, wie er sich mit einem merkantilen
Blitzen in den Augen an Tabus heranmacht. die in Deutschland ihre Geschichte
und ihre Logik haben. Man kann das tun, aber dann nicht mit der
unerträglichen Leichtigkeit von Heftchenliteratur.
©
Wolfgang Kerkhoff, 2011
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